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16. Juni 2007
Die Gurkenmaus
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Im Juni 2007 waren die beiden Meerschweinchen meines Enkels zu Besuch. Ich verwöhnte sie nach Strich und Faden mit den leckersten Gräsern, den zartesten Löwenzahnblättern und den feinsten Wildkräutern, aber leider litten die beiden an chronischer Paranoia: Sie blieben hartnäckig bei ihrer Überzeugung, ich sei ein meerschweinchenfressendes Ungeheuer.

"Seid nicht so albern", sagte ich zu ihnen, "ich werde euch bestimmt nicht essen - ihr seid mir viel zu fusselig!"

Sie glaubten mir kein Wort und führten eigensinnig ihr Leben als bepelzte Papp-Schildkröten weiter: jedes hockte in seinem unten offenen Schuhkarton mit bequemem Ein- und Ausgang und bewegte sich mitsamt seinem Gehäuse durch den schönen großen Auslauf, den ich ihnen gebaut hatte. Es waren die ersten Meerschweinchen meines Lebens, die ich nicht dazu überreden konnte, sich genußvoll von mir schubbern zu lassen.

Aber verfressen waren sie. Es ist schier unglaublich, welche Unmengen von Grünzeug in sie hineinpaßten. Für frisches, duftendes Gras ließen sie s
elbst ihre geliebten Gurken im Stich. Jeden Tag räumte ich die angeknabberten Reste weg.

Auf der Waschmaschine in der Küche stand ein weißer Plastikdeckel für die Futterreste, die dann am nächsten Tag auf den Kompost kamen - stand dort ganz unschuldig herum, und ich dachte mir nichts dabei.

Bis ich eines Tages um die Ecke bog...

... und förmlich erstarrte.

Da saß doch tatsächlich bei hellem Tageslicht in meiner Küche auf meiner Waschmaschine eine dieser jungen schwarzen Schermäuse, die die Katzen immer wieder aus der Wiese bringen.

(Und jedesmal drohe ich ihnen (den Katzen), daß ich sie einen Schwanz kürzer machen werde, wenn ich sie noch mal dabei erwische! Junge Schermäuse sind süße kleine Geschöpfe. Ihre Gesichtchen sehen aus wie eine Kreuzung zwischen Biber und Ewok. Aber die samtpfötigen Mörderlein schauen mich nur verständnislos an, lassen sich nieder und fressen das Biber-Ewok-Mäuschen summa summarisch auf. Gewissensbisse? Nicht die Bohne!)

Und nun saß eines dieser entzückenden Mäusekinder auf meiner Waschmaschine!

Na gut - es sah ein bißchen zerknautscht aus.

"Mit Ach und Krach einem Katzenmaul entkommen!" vermutete ich.

Und es rührte sich nicht.

"Vor Schreck erstarrt", dachte ich voller Mitleid. "Arme kleine Maus!"

Und dabei entfernte ich mich ganz, ganz vorsichtig in Richtung Wohnzimmer. Nahm Fahrt auf, sobald ich um die Ecke war, raste den Flur entlang, Tür auf, griff mir meine Fototasche, grabbelte im Laufen die Kamera heraus, schaltete sie ein, bog um die Ecke - das Mäuschen saß immer noch da.

Ich fotografierte es aus rücksichtsvoller Entfernung per Teleobjektiv. Tat einen Schritt vorwärts, knipste es erneut - keine Reaktion. Die Maus saß da, völlig regungslos.

Vielleicht ist sie tot, überlegte ich, beugte mich vor und gab ihr einen Stips.

Nein, sie war nicht aus Gips - sie war ein Stück Gurke!

Die Meerschweinchen hatten an ihr geknabbert, und ich schwöre: da war die Gurke noch vollkommen gesund. Auch als ich sie als angenagten Rest auf den Plastikdeckel legte, fehlte ihr noch nichts - bis auf die paar abgefressenen Stellen. Als ich später noch mal vorbeikam, fiel mir immer noch nichts an ihr auf. Aber dann, i
n der Nacht, am Morgen, den ganzen Vormittag über, muß sich irgendein durchgedrehter Schimmelpilz mit rasender Eile über sie hergemacht haben.

Und so entstand aus Gurke und Schimmel dieses Gebilde, das mich wirklich und total an der Nase herumgeführt hat. Selbst als ich sie auf den Kompost brachte, hatte ich immer noch das Gefühl, ganz vorsichtig mit ihr umgehen zu müssen - wie mit einer wirklichen Maus.

Sie muß ungeheuer schmackhaft gewesen sein: sobald sie auf dem Kompost saß, dauerte es keine zwei Minuten, bis die erste Schnecke sich nach ihr den Hals verrenkte. Andere folgten. Schon nach einer halben Stunde war von dem schwarzen Überzug nichts mehr zu sehen.

Spät nachts, mit der Taschenlampe in der Hand, sah ich noch einmal nach ihr - da war nur noch ein kleiner grüner Gurkenknurps von ihr übrig...



© Marianne Sydow 10.1.2009

 
 
 
 
 
 
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