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Im Juni 2007 waren die beiden Meerschweinchen meines Enkels zu Besuch.
Ich verwöhnte sie nach Strich und Faden mit den leckersten Gräsern,
den zartesten Löwenzahnblättern und den feinsten Wildkräutern,
aber leider litten die beiden an chronischer Paranoia: Sie blieben hartnäckig
bei ihrer Überzeugung, ich sei ein meerschweinchenfressendes Ungeheuer.
"Seid nicht so albern", sagte ich zu ihnen, "ich werde
euch bestimmt nicht essen - ihr seid mir viel zu fusselig!"
Sie glaubten mir kein Wort und führten eigensinnig ihr Leben als
bepelzte Papp-Schildkröten weiter: jedes hockte in seinem unten offenen
Schuhkarton mit bequemem Ein- und Ausgang und bewegte sich mitsamt seinem
Gehäuse durch den schönen großen Auslauf, den ich ihnen
gebaut hatte. Es waren die ersten Meerschweinchen meines Lebens, die ich
nicht dazu überreden konnte, sich genußvoll von mir schubbern
zu lassen.
Aber verfressen waren sie. Es ist schier unglaublich, welche Unmengen
von Grünzeug in sie hineinpaßten. Für frisches, duftendes
Gras ließen sie selbst
ihre geliebten Gurken im Stich. Jeden Tag räumte ich die angeknabberten
Reste weg.
Auf der Waschmaschine in der Küche stand ein weißer Plastikdeckel
für die Futterreste, die dann am nächsten Tag auf den Kompost
kamen - stand dort ganz unschuldig herum, und ich dachte mir nichts dabei.
Bis ich eines Tages um die Ecke bog...
... und förmlich erstarrte.
Da saß doch tatsächlich bei hellem Tageslicht in meiner Küche
auf meiner Waschmaschine eine dieser jungen schwarzen Schermäuse,
die die Katzen immer wieder aus der Wiese bringen.
(Und jedesmal drohe ich ihnen (den Katzen), daß ich sie einen Schwanz
kürzer machen werde, wenn ich sie noch mal dabei erwische! Junge
Schermäuse sind süße kleine Geschöpfe. Ihre Gesichtchen
sehen aus wie eine Kreuzung zwischen Biber und Ewok. Aber die samtpfötigen
Mörderlein schauen mich nur verständnislos an, lassen sich nieder
und fressen das Biber-Ewok-Mäuschen summa summarisch auf. Gewissensbisse?
Nicht die Bohne!)
Und nun saß eines dieser entzückenden Mäusekinder auf
meiner Waschmaschine!
Na gut - es sah ein bißchen zerknautscht aus.
"Mit Ach und Krach einem Katzenmaul entkommen!" vermutete ich.
Und es rührte sich nicht.
"Vor Schreck erstarrt", dachte ich voller Mitleid. "Arme
kleine Maus!"
Und dabei entfernte ich mich ganz, ganz vorsichtig in Richtung Wohnzimmer.
Nahm Fahrt auf, sobald ich um die Ecke war, raste den Flur entlang, Tür
auf, griff mir meine Fototasche, grabbelte im Laufen die Kamera heraus,
schaltete sie ein, bog um die Ecke - das Mäuschen saß immer
noch da.
Ich
fotografierte es aus rücksichtsvoller Entfernung per Teleobjektiv.
Tat einen Schritt vorwärts, knipste es erneut - keine Reaktion. Die
Maus saß da, völlig regungslos.
Vielleicht ist sie tot, überlegte ich, beugte mich vor und gab ihr
einen Stips.
Nein, sie war nicht aus Gips - sie war ein Stück Gurke!
Die Meerschweinchen hatten an ihr geknabbert, und ich schwöre: da
war die Gurke noch vollkommen gesund. Auch als ich sie als angenagten
Rest auf den Plastikdeckel legte, fehlte ihr noch nichts - bis auf die
paar abgefressenen Stellen. Als ich später noch mal vorbeikam, fiel
mir immer noch nichts an ihr auf. Aber dann, in
der Nacht, am Morgen, den ganzen Vormittag über, muß sich irgendein
durchgedrehter Schimmelpilz mit rasender Eile über sie hergemacht
haben.
Und so entstand aus Gurke und Schimmel dieses Gebilde, das mich wirklich
und total an der Nase herumgeführt hat. Selbst als ich sie auf den
Kompost brachte, hatte ich immer noch das Gefühl, ganz vorsichtig
mit ihr umgehen zu müssen - wie mit einer wirklichen Maus.
Sie muß ungeheuer schmackhaft gewesen sein: sobald sie auf dem Kompost
saß, dauerte es keine zwei Minuten, bis die erste Schnecke sich
nach ihr den Hals verrenkte. Andere folgten. Schon nach einer halben Stunde
war von dem schwarzen Überzug nichts mehr zu sehen.
Spät nachts, mit der Taschenlampe in der Hand, sah ich noch einmal
nach ihr - da war nur noch ein kleiner grüner Gurkenknurps von ihr
übrig...
©
Marianne
Sydow 10.1.2009
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