Marianne Sydow
 
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Marianne Sydow 2004-2007
 
Marianne Sydow
 
Ogawas Perlen
 
Science Fiction Roman
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Kapitel 3:
Im Portal / 1
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Es war ein gewaltiger Raum, der größte, den es in der Stadt gab - zwanzig Stockwerke hoch, fast dreihundert Meter lang und über fünfzig Meter breit. Riesige durchsichtige Röhren verloren sich nach oben hin in der Finsternis: gläserne Liftschächte, die zu den Galerien hinaufführten, zu den Kliniken, den Quarantäneblocks und den Wohnquartieren. Kinos hatte es hier gegeben, Theater, Restaurants, Sporthallen, Schwimmbäder - eine Welt für sich, noch weitgehend an den Bedürfnissen und Maßstäben derer ausgerichtet, die an das Leben in der anderen, der äußeren Welt, gewöhnt waren.

Es war ungewohnt still. Vom sonst allgegenwärtigen Brausen der Stadt war nichts zu hören. Nur ein leises Rauschen drang aus den Belüftungsschächten, und ein fernes Grollen ließ Jonna ahnen, daß ein Zug durch eine der Sub-Etagen fuhr.

Sie versuchte sich vorzustellen, wie es vor rund fünfhundert Jahren hier zugegangen war, als Tag für Tag Tausende von Menschen durch die große Halle zogen, Neubürger zumeist, aber auch solche, die schon in der Stadt lebten und Besuch von draußen bekamen. Außenweltler hatten die eigentliche Stadt nie betreten dürfen. Nur im Portal waren Begegnungen möglich gewesen.

Allein hier zu stehen war schon ein Erlebnis. Jonna beneidete Sikkim, der ein so großartiges Revier hatte - und es offensichtlich nicht zu schätzen wußte.

Sie hatte Cheroux ein Versprechen gegeben. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Er konnte in solchen Fällen ziemlich sauer werden. Also machte sie sich seufzend auf den Weg zur Hauptschleuse.

Aber schon nach wenigen Schritten konnte sie der Versuchung nicht mehr widerstehen und unternahm allen guten Vorsätzen zum Trotz einen Abstecher hinter eine der Barrieren.

Ein Putzer war gerade an der Wand zugange. Als er Jonna mit seinen Sensoren erfaßte, blieb er regungslos stehen. Dann zog er zögernd seine Staubfänger ein und wartete.

Jonna betrachtete fasziniert eine ganze Batterie von Desinfektionskammern. Sie waren natürlich alle leer, aber Jonna hatte keine Mühe, sich vorzustellen, welches Gedränge einst hier geherrscht haben mußte. Fast alle Neubürger hatten Dinge mitgebracht, von denen sie sich nicht hatten trennen wollen, Erinnerungsstücke aus einer Welt, die sie für immer hinter sich lassen mußten: Bücher, Bilder, Kunst und Kitsch, Schmuck, Mineralien, sogar antike Waffen, heutzutage allesamt kostbar und heißbegehrt. All das war durch diese Kammern gegangen. Hier hatte das System sie registriert, archiviert und medizinisch entschärft.

Sicher enthalten die Kammern immer noch die Daten, die sie damals gesammelt haben, überlegte Jonna. Sie wurden zwar alle auf die Stadt übertragen, aber ich glaube nicht, daß man sich die Mühe gemacht hat, sie hier draußen zu löschen!

Sie wandte sich von den Desinfektionskammern ab und betrachtete die Rückseite der Barriere.

Hier hatte das Empfangspersonal gearbeitet - überall Terminals, dunkel und tot. Jonna betrachtete die Eingabetasten, die vielen Symbole.

Noch mehr Daten. Wenn ich doch bloß ein bißchen mehr Zeit hätte...

Sie verließ den Raum hinter der Barriere - widerstrebend, zögernd, hin und her gerissen zwischen Pflichtgefühl und dem Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Je schneller ich hier fertig bin, desto besser, sagte sie sich. Und Cheroux muß nicht alles wissen. Er kann mich hier nicht überwachen.

Was für ein Gedanke!

Sie marschierte los, die gesamte Länge der Halle entlang, vorbei an Informationsständen, Abfertigungsschaltern, Ruhezonen und Verkaufsständen.

Die Hauptschleuse am Ende der riesigen Halle bot einen seltsamen Anblick. Man hatte sie mit einer glasig-durchscheinenden Dichtungsmasse versiegelt. Das Zeug bildete dicke, unregelmäßige Wülste um die Türen herum - es sah aus, als wären riesige, glitschige Monsterquallen drauf und dran, sich durch die Ritzen zu quetschen. Aber ansonsten war die Schleuse intakt.

Jonna drückte sich an einem weiteren dunklen Empfangsschalter vorbei und öffnete die Tür zu einem Korridor, der parallel zur Außenwand verlief - ein vier Meter breiter Gang, in dem es noch dunkler war als in der Halle. Entlang der rechten Wand glommen winzige, orangefarbene Orientierungslämpchen, von denen jedes einzelne den Zugang zu einer Schleuse markierte.

Und inmitten dieser Kette leuchtender Punkte brannte ein rotes Licht.


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