Es war ein gewaltiger Raum, der größte, den es in der Stadt
gab - zwanzig Stockwerke hoch, fast dreihundert Meter lang und über
fünfzig Meter breit. Riesige durchsichtige Röhren verloren sich
nach oben hin in der Finsternis: gläserne Liftschächte, die
zu den Galerien hinaufführten, zu den Kliniken, den Quarantäneblocks
und den Wohnquartieren. Kinos hatte es hier gegeben, Theater, Restaurants,
Sporthallen, Schwimmbäder - eine Welt für sich, noch weitgehend
an den Bedürfnissen und Maßstäben derer ausgerichtet,
die an das Leben in der anderen, der äußeren Welt, gewöhnt
waren.
Es war ungewohnt still. Vom sonst allgegenwärtigen Brausen der Stadt
war nichts zu hören. Nur ein leises Rauschen drang aus den Belüftungsschächten,
und ein fernes Grollen ließ Jonna ahnen, daß ein Zug durch
eine der Sub-Etagen fuhr.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie es vor rund fünfhundert Jahren
hier zugegangen war, als Tag für Tag Tausende von Menschen durch
die große Halle zogen, Neubürger zumeist, aber auch solche,
die schon in der Stadt lebten und Besuch von draußen bekamen. Außenweltler
hatten die eigentliche Stadt nie betreten dürfen. Nur im Portal waren
Begegnungen möglich gewesen.
Allein hier zu stehen war schon ein Erlebnis. Jonna beneidete Sikkim,
der ein so großartiges Revier hatte - und es offensichtlich nicht
zu schätzen wußte.
Sie hatte Cheroux ein Versprechen gegeben. Sie wollte ihn nicht enttäuschen.
Er konnte in solchen Fällen ziemlich sauer werden. Also machte sie
sich seufzend auf den Weg zur Hauptschleuse.
Aber schon nach wenigen Schritten konnte sie der Versuchung nicht mehr
widerstehen und unternahm allen guten Vorsätzen zum Trotz einen Abstecher
hinter eine der Barrieren.
Ein Putzer war gerade an der Wand zugange. Als er Jonna mit seinen Sensoren
erfaßte, blieb er regungslos stehen. Dann zog er zögernd seine
Staubfänger ein und wartete.
Jonna betrachtete fasziniert eine ganze Batterie von Desinfektionskammern.
Sie waren natürlich alle leer, aber Jonna hatte keine Mühe,
sich vorzustellen, welches Gedränge einst hier geherrscht haben mußte.
Fast alle Neubürger hatten Dinge mitgebracht, von denen sie sich
nicht hatten trennen wollen, Erinnerungsstücke aus einer Welt, die
sie für immer hinter sich lassen mußten: Bücher, Bilder,
Kunst und Kitsch, Schmuck, Mineralien, sogar antike Waffen, heutzutage
allesamt kostbar und heißbegehrt. All das war durch diese Kammern
gegangen. Hier hatte das System sie registriert, archiviert und medizinisch
entschärft.
Sicher enthalten die Kammern immer noch die Daten,
die sie damals gesammelt haben, überlegte Jonna. Sie
wurden zwar alle auf die Stadt übertragen, aber ich glaube nicht,
daß man sich die Mühe gemacht hat, sie hier draußen zu
löschen!
Sie wandte sich von den Desinfektionskammern ab und betrachtete die Rückseite
der Barriere.
Hier hatte das Empfangspersonal gearbeitet - überall Terminals, dunkel
und tot. Jonna betrachtete die Eingabetasten, die vielen Symbole.
Noch mehr Daten. Wenn ich doch bloß ein bißchen
mehr Zeit hätte...
Sie verließ den Raum hinter der Barriere - widerstrebend, zögernd,
hin und her gerissen zwischen Pflichtgefühl und dem Bedürfnis,
den Dingen auf den Grund zu gehen.
Je schneller ich hier fertig bin, desto besser,
sagte sie sich. Und Cheroux muß nicht
alles wissen. Er kann mich hier nicht überwachen.
Was für ein Gedanke!
Sie marschierte los, die gesamte Länge der Halle entlang, vorbei
an Informationsständen, Abfertigungsschaltern, Ruhezonen und Verkaufsständen.
Die Hauptschleuse am Ende der riesigen Halle bot einen seltsamen Anblick.
Man hatte sie mit einer glasig-durchscheinenden Dichtungsmasse versiegelt.
Das Zeug bildete dicke, unregelmäßige Wülste um die Türen
herum - es sah aus, als wären riesige, glitschige Monsterquallen
drauf und dran, sich durch die Ritzen zu quetschen. Aber ansonsten war
die Schleuse intakt.
Jonna drückte sich an einem weiteren dunklen Empfangsschalter vorbei
und öffnete die Tür zu einem Korridor, der parallel zur Außenwand
verlief - ein vier Meter breiter Gang, in dem es noch dunkler war als
in der Halle. Entlang der rechten Wand glommen winzige, orangefarbene
Orientierungslämpchen, von denen jedes einzelne den Zugang zu einer
Schleuse markierte.
Und inmitten dieser Kette leuchtender Punkte brannte ein rotes Licht.
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