Marianne Sydow
 
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Marianne Sydow 2004-2007
 
Marianne Sydow
 
Ogawas Perlen
 
Science Fiction Roman
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Kapitel 2:
Der alte Friedhof / 4
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"Mußtest du mir das unbedingt jetzt gleich auf die Nase binden?" fragte Cheroux ärgerlich.

"Ich halte mich nur an die Vorschriften", erwiderte Jonna.

Er warf ihr einen scharfen Blick zu.

"Du willst der Spur nachgehen, die du auf dem alten Friedhof gefunden hast", stellte er fest. "Selma Harper, nicht wahr? Ich habe bereits nachgesehen. Es gibt keine Aufzeichnungen über sie. Genaugenommen läßt sich nicht einmal mehr beweisen, daß sie und das alte Urnenfeld überhaupt jemals existiert haben!"

"Es geht mir nicht um den Friedhof", behauptete Jonna. "Und auch nicht um Selma Harper. Es geht mir einzig und allein um die Sicherheit der Stadt."

Cheroux musterte Jonna, als suche er nach Spuren in ihrem Gesicht. Ihr wurde unbehaglich unter diesen Blicken.

"Ich habe nachgeforscht", sagte sie. "Sikkim scheint ziemlich übel dran zu sein. Vielleicht kann er tatsächlich in ein oder zwei Tagen wieder arbeiten, aber er wird fürs erste in der Stadt bleiben müssen. Auf keinen Fall kann Tralman ihn ins Portal schicken!"

"Ich weiß", sagte Cheroux seufzend. "Und du wirst nicht zur Ruhe kommen, ehe du diese Sache nicht geklärt hast. Also gut - fahr nach Shangrilah. Überprüfe die Verbindungsschleusen. Du beginnst in der obersten Etage und arbeitest dich nach unten vor. Wenn auf unserer Seite alles in Ordnung ist, kannst du drinnen nach dem Rechten sehen. Sieh zu, daß du dich während der Fahrt ein bißchen entspannst - du siehst müde aus! Und nimm die Brille mit!"

Angesichts der Aussicht, endlich das Portal erkunden zu können, fiel alle Müdigkeit von ihr ab. Sie verzichtete sogar darauf, sich über die Sache mit der Brille zu beklagen.

Wenig später trat sie aus einem Lift, den Scanner in der einen Hand, die Brille in der anderen. Vor der ersten Schleuse setzte sie das verdammte Ding auf... (Wie ich das hasse! Aber wen kümmert das schon!) ...und machte sich ans Werk.

Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie endlich vor dem letzten Schleusenkomplex stand. Kaum hatte sie Scanner und Augen auf die interne Sicherheitsschleuse gerichtet, da sagte Cheroux:

"Moment mal. Da ist ein Kratzer. An der siebenten Tür."

Jonna schloß für einen Moment die Augen.

Zu Hilfe - ein Kratzer! Schließt die Schotte, schlagt Alarm, evakuiert die äußeren Bezirke, wir haben einen Kratzer an der siebenten Tür!

Die ganze Zeit hindurch ging das schon so. Überall sah Cheroux Fehler, die gar nicht existierten.

Sie nahm die Brille ab und besah sie sich von allen Seiten. Das dämliche Ding war blitzblank - kein Staubkörnchen konnte für den angeblichen Kratzer verantwortlich sein. Sie setzte die Brille wieder auf, trat näher an die Schleuse heran und musterte Nummer sieben gründlich.

"Ein bißchen weiter nach links!" kommandierte Cheroux, der vor seinem Schirm in Camelot saß und durch dieselbe Brille sah und damit gleichsam durch Jonnas Augen. Aber irgendwie schien das, was sie beide sahen, gewisse Unterschiede aufzuweisen.

"Es ist direkt vor deiner Nase! Siehst du es denn nicht?"

Jonna kniff die Augen zusammen und entdeckte endlich einen kleinen Streifen, ganz schwach, kaum zwei Zentimeter lang. Sie strich mit dem Finger darüber:

"Meinst du das hier?"

"Ja. Was ist das?"

"Eine Unebenheit im Material."

"Bei mir sieht das aber ganz und gar nicht wie eine Unebenheit aus!"

"Es ist eine - verlaß dich drauf. Das Licht kommt von der Seite. Was dir als Kratzer erscheint, ist in Wirklichkeit nur ein winziger Schatten. Hier bei mir ist er kaum sichtbar. Du solltest mal die Einstellungen überprüfen. Wenn du den Kontrast reduzierst, wird das gleich ganz anders aussehen!"

Cheroux schwieg.

"Kann ich jetzt weitermachen?" fragte Jonna, als ihr das Schweigen zu lange dauerte.

"Ja, natürlich..."

Aber sehr überzeugt klang das nicht.

Sie ließ den Scanner die Schleusensensoren abfragen.

"Alle Werte liegen im normalen Bereich", verkündete sie. "Und die Siegel sind unversehrt."

"Ja, ich sehe es", erwiderte Cheroux nachdenklich. "Komisch - für mich sieht es immer noch so aus, als wäre da ein Defekt!"

Diesmal verzichtete Jonna auf jeden Kommentar.

"Nimm dir jetzt die Wartungsschleusen vor", befahl Cheroux.

Das war zuviel.

"Laß mich zuerst die Zentralen Speicher überprüfen!" forderte sie ungeduldig.

"Das entspricht nicht der vorgeschriebenen Reihenfolge."

"Die Reihenfolge ist in diesem Fall ohne Belang!"

Cheroux schien Schwierigkeiten zu haben, diese Behauptung zu verdauen.

"Du kannst wohl gar nicht früh genug an deine Nachforschungen gehen!" sagte er schließlich.

"Allmählich gehst du mir wirklich auf die Nerven! Gut, ich gebe es zu: ich bin neugierig. Aber ich bin mittlerweile auch ziemlich müde. Eine vorschriftsmäßige Gesamtinspektion schaffe ich heute sowieso nicht mehr. Also laß mich einfach erstmal nachsehen, ob mit dem internen System des Portals alles in Ordnung ist! Den Rest erledige ich morgen."

"Wenn du so müde bist, dann komm zurück und schlaf dich aus!"

"Erst die Speicher!"

"Das kommt überhaupt nicht in Frage!"

Sie war nahe daran, in die Luft zu gehen.

"So allmählich", sagte sie, "habe ich den Eindruck, daß du mich daran hindern willst, das Portal zu betreten!"

"Das ist totaler Unsinn!"

"Ach ja? Warum gibst du dir dann solche Mühe, die Sache in die Länge zu ziehen?"

Sie hörte ihn seufzen.

"Was willst du tun, wenn du da drinnen auf ein Problem stößt?" fragte er. "Es so lange angähnen, bis es sich auflöst?"

"Soll das heißen, daß du dir Sorgen um mich machst?"

"Wäre das so unwahrscheinlich?"

Jonna rieb sich ungeduldig die Nase.

"Ich weiß, daß ich da drinnen auf mich selbst gestellt bin", sagte sie. "Aber das ist doch nichts Neues für dich! Wenn ich in der Außenwelt unterwegs bin, kannst du noch viel weniger für mich tun, und draußen gibt es viel größere Gefahren als hier in der Stadt. Was soll mir denn im Portal schon passieren? Ich werde reingehen, die Speicher überprüfen und vielleicht noch nach den Außenschleusen sehen - das ist alles. Keine Extratouren. Einverstanden?"

Er zögerte immer noch.

"Also gut", sagte er schließlich. "Aber nimm dir die Außenschleusen zuerst vor!"

Wenn´s weiter nichts war - damit konnte sie leben.

Sie atmete tief durch, öffnete die Tür und betrat - endlich! - die Haupthalle des Portals.


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