Ein
bestimmter Sektor in Camelot
hatte vor einigen Tagen seltsame Schwankungen in der Sauerstoff-Versorgung
gemeldet. Dem hatte Jonna Harper nachzugehen. Eine wichtige Sache, sicher,
aber nach sechzehn Stunden Arbeit hatte sie wahrhaftig genug davon.
Sie rieb sich die brennenden Augen.
Wenn ich so weitermache, werde ich bald selbst unter
seltsamen Schwankungen leiden, dachte sie. Ich
werde vom Stuhl kippen und einschlafen!
"Cheroux, bist du da?" fragte sie laut. "Verdammt, ich
bin müde! Laß mich endlich eine Pause machen!"
Keine Antwort.
Wahrscheinlich schläft er längst, dachte
Jonna deprimiert. Er hat mich vergessen. Hat sich hingelegt und
läßt mich hier schuften! Es ist zum...
Das Bild auf dem Schirm zuckte - ein elektronisches Blinzeln, das es eigentlich
gar nicht geben durfte.
Nicht auch das noch! Nicht der! Nicht jetzt!
"Wo ist er hin?" fragte sie seufzend.
Der Comco
registrierte ihren Tonfall und verzichtete auf jede Bemerkung.
Auf dem Schirm erschien ein symmetrisches Muster, kompliziert und verschlungen
wie ein Labyrinth - eine schematische Darstellung der zentralen Speicher
von Camelot. Innerhalb dieses Musters bewegte sich ein winziger Punkt,
tastete sich hindurch wie ein Putzer durch einen Bastelraum voller Schnipsel.
Dieser Punkt war ein alter Bekannter. Sein Ausgangspunkt befand sich drüben
in der vierten Pyramide - das war alles, was man bisher über ihn
herausgefunden hatte. Mittlerweile war er ein stadtbekanntes Phänomen.
Den "Geist von Shangrilah" nannte man ihn.
Jonna war der festen Überzeugung, daß es ein Mensch war, der
dahintersteckte - ein Dieb, ein Surfer, irgendein Schlaumeier, der sich
einen Spaß daraus machte, die Leute vom Städtischen Dienst
auf Trab zu halten. Jonnas Kollegen dagegen tendierten eher zu der Auffassung,
daß es sich um einen Irrläufer handelte, einen der zahllosen
Sweeper, die wie elektronische Träume durch das System schlüpften
und Datenschlacken abbauten. Manchmal machten solche Putzprogramme sich
selbständig, trugen vermeintliche Schlacken ab, wo es gar keine gab,
oder kippten einen Haufen Abfälle mitten in einen aktiven Sektor.
Dann konnte es zu bizarren Zwischenfällen kommen. Die Aktionen mancher
Geister wirkten durchaus gezielt, fast wie Sabotage. Eine gestandene Protektorin
konnte sich entsetzlich lächerlich machen, wenn sie darauf hereinfiel.
Jonna beobachtete das wandernde Pünktchen.
Dreh ab! dachte sie ärgerlich, aber
der Geist von Shangrilah wanderte unbeirrbar weiter, hinein in die Peripherie
der vegetativen Regelkreise.
Dort gab es offiziell nichts, womit ein Bürger etwas anfangen konnte.
Andererseits hatte Jonna schon mal einen herausgeangelt, der es für
eine tolle Idee hielt, Achterbahn auf einer Klimaspirale zu fahren - er
hatte keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, daß er damit
die gesamten vier Millionen Einwohner von Camelot in Gefahr brachte.
Normalerweise kamen solche Leute nicht allzu weit - dafür sorgten
die Scan-Sequenzen. Die wirkten zwar auf den ersten Blick ganz witzig,
wegen der Art und Weise, wie das System sie visualisierte (sie kamen als
Gullis daher, als Dusch-Abläufe, Müllschächte oder Klospülungen),
aber was sie taten, war absolut nicht komisch. Die Scan-Sequenzen waren
Löschprogramme, die man zu Diebstahlssicherungen umfunktioniert hatte.
Wer ihnen zu nahe kam, verlor unter Umständen seine gesamten persönlichen
Daten und mit ihnen seine elektronische Unsterblichkeit. Den meisten Bürgern
war ihre Unsterblichkeit immerhin wichtig genug, daß sie sich von
den städtischen Speichern fernhielten und auch sonst alles vermieden,
was sie in Kontakt mit den gefräßigen Sequenzen bringen konnte.
Für den Geist von Shangrilah galt das leider nicht. Das war das Hauptargument
derer, die in ihm einen fehlgeleiteten Sweeper vermuteten: Kein Bürger,
so sagten sie, wäre so unverschämt unvorsichtig wie dieser Geist.
Andererseits hatte der Geist in punkto Unsterblichkeit offenbar gar nichts
zu befürchten, denn beim System genoß er allem Anschein nach
völlige Narrenfreiheit. Was er auch anstellte - sein elektronisches
Gedächtnis blieb ihm erhalten. Seit vier Jahren löste er einen
Alarm nach dem anderen aus, aber die Fallen in den Siegeln blieben stets
leer, und die Aufzeichnungen bewiesen, daß er während der ganzen
Zeit noch keinen einzigen Datenabfluß ausgelöst hatte.
Das Schlimmste aber war, daß es nichts gab, was ihn aufhalten konnte.
Gerade eben tauchte er in einen der streng geschützten Speicher hinein,
als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Er rutschte
durch das Siegel, wie eine Nudel durch die Zinken einer Gabel - zack,
weg war er.
Aber während er sich in das Siegel hineinschlängelte, konnte
Jonna etwas Neues an ihm wahrnehmen: die Spiegelung einer Signatur. Kein
Zweifel, der angebliche Geist war diesmal in einem Cyber-Kokon unterwegs.
Und das, mein Freund, dachte
Jonna, ist ein mächtig großer Fehler!
Während der Geist ungeniert in dem Speicher herumschnüffelte,
baute Jonna draußen in aller Eile eine Falle für ihn auf, die
auch prompt ein paar Minuten später zuschnappte.
Zuerst verhielt der Geist sich ganz still, als sei er starr vor Schreck.
Dann begann er drinnen herumzuwandern. Und plötzlich glitt der verdammte
Kerl durch die Wand der Falle hindurch und machte sich davon.
Mist! dachte Jonna wütend.
Sie erwischte gerade noch einen Zipfel der Signatur, konnte den Geist
zwar nicht festhalten, hielt aber eine Spur in der Hand, eine elektronische
Angelschnur, die sie nur noch einzuholen brauchte.
Der Geist wußte das, geriet in Panik, schlug einen Haken...
...und landete mitten in einem Urnenfeld.
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