Meine Weihnachtsgeschichte
Nummer 2
   


Es geschah in der Heiligen Nacht 1964 - lange her, aber unvergessen.

Es war ein kalter Winter. Ich kam spät nach Hause, nach Mitternacht. Die Kerzen am Weihnachtsbaum waren längst heruntergebrannt, die Familie hatte sich bereits in ihre weichen Betten verfügt.

Es war keine böse Absicht, daß ich die familiäre Weihnachtszeremonie verpaßt hatte. Meine Mutter höchstpersönlich hatte mich in einen Job gezwungen, den ich haßte wie die Pest: Ich arbeitete damals im Fernamt, und da war zu Heiligabend die Hölle los. Ich war durchgefroren und hundemüde. Ein Stück Kuchen hätte mir gutgetan, ein heißer Tee, ein bißchen Freundlichkeit. Statt dessen war die Tür meiner Eltern abgeschlossen und mein Weihnachtsgeschenk stand auf einer der Treppenstufen: eine funkelnagelneuer Handfeger mit dazugehöriger Schippe, mit einer roten Schleife verziert - diskreter Hinweis meiner Mutter auf meine mangelhaft entwickelten hauswirtschaftlichen Fähigkeiten.

Ich stieg ins Dachgeschoß hinauf. Auch dort war es eiskalt. Ich heizte den Kachelofen an und stiefelte die Treppe wieder hinunter, um meine Meerschweinchen zu versorgen.

Drei waren es zu dieser Zeit: ein kleiner Bock und zwei Weibchen. Sie lebten in einem warmen gemütlichen, zweistöckigen Stall in der Waschküche. Das Böckchen hatte ich mit der Pipette aufgezogen - es war an einem Oster-Samstag zur Welt gekommen, und seine Mutter war einen Tag später an einer Infektion gestorben. Er war ein toller kleiner Bursche. Ich hing sehr an ihm und er an mir.

Die beiden Weibchen waren hochträchtig - ich hatte für reichlich Heu gesorgt und oben in meiner kalten Küche rechtzeitig Weizen in Schalen gesät, um ihnen zu ihrer Winterdiät aus Möhren, Äpfeln und anderen guten Sachen ein bißchen frisches Grün bieten zu können. Ich hatte für jeden einen kleinen Strauß dabei.

Zwei von ihnen standen sofort am Gitter. Nummer drei ließ sich nicht blicken. Sie hatte sich völlig im Heu vergraben. Ich machte mir Sorgen um sie und sah vorsichtig nach.

Sie hatte vier Babies zur Welt gebracht.

Ich stand davor, weinend und unsagbar glücklich. Dann holte ich eine zweite Portion von den leckeren Weizenhalmen und unterhielt mich mit meinen pelzigen kleinen Freunden, bis die Kohlen in meinem Ofen durchgeglüht waren.

Kleine Meerschweinchen kommen mit Fell und Augen zur Welt. Sie können von Anfang an laufen. Es sind reizende Geschöpfe. Und als Weihnachts-Babies waren sie Balsam für meine Seele. Ich werde sie nie vergessen.

Ich wünsche euch allen ein frohes Fest und eine weiche Landung im neuen Jahr. Und laßt euch nicht bloß nicht unterkriegen!


Marianne Sydow am 19.12.2007

       
     
       
       
       
       
       
     
       
   
   
 
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