Marianne Sydow
Editionen
online-SF-Stories
© für alle Bilder und alle Texte:
Marianne Sydow
Fraktal-Graphiken
 
 
 

D
ie nachfolgende Kurzgeschichte habe ich im Jahre 1973 geschrieben, zu einer Zeit, als ich noch rauchte und auch dem Alkohol noch nicht abgeneigt war (und das merkt man der Story auch an).

Damals lebte ich in einem kleinen Ort südlich von Ulm. Im Gegensatz zur Hauptfigur der ganzen Geschichte besaß ich selbstverständlich kein eigenes Haus (von dem Honorar, das ich damals bekam, hätte ich mir noch nicht mal eine Hundehütte leisten können), sondern ich wohnte zur Miete, oben am Hang, mit einem weiten Blick über das Donau-Tal.

In dieses Haus hat tatsächlich der Blitz eingeschlagen: Es wurde plötzlich gleißend hell, alle Sicherungen flogen raus, die Glasscheibe eines Vitrinenschranks in der Wohnung meines Hauswirts hatte einen diagonal verlaufenden Sprung, und einige Weingläser im Innern des Schranks waren zerbrochen. Es gab einen Brand unten im Tal - allerdings nicht bei demselben Gewitter - und ich habe gelegentlich auch Satelliten gesehen, denn ich liebe es, in die Sterne zu schauen. Aber alles andere ist natürlich frei erfunden. (Nebenbei bemerkt: die Villa Galactica hat bisher keinen Blitzableiter).


Die Story erschien in einer von dem Lektor Günther M. Schelwokat bearbeiteten Fassung im Februar 1978 in Heft Nr. 341 der Terra Astra-Reihe des Moewig-Verlags, zusammen mit 14 anderen Kurzgeschichten, die sich im Laufe der Zeit bei mir angesammelt hatten. Die Collection trug den Titel Die Welten des Philip Totin.

Die Manuskript-Fassungen dieser Stories sind leider nicht mehr in meinem Besitz - ich habe in einem Anfall von Großzügigkeit das gesamte Manuskript an einen Fan verschenkt. Ich weiß nicht einmal mehr genau, wie er hieß - Martin oder Michael Böttcher oder so ähnlich. Er gehörte zum Kreis der Fan-Film-Crew um Hans-Joachim Thunack. Lieber Martin oder Michael oder wie immer Du auch heißen magst: Solltest du das lesen, melde dich doch mal - vielleicht könntest du mir ja eine Kopie oder einen Scan des Manuskripts zukommen lassen (falls das Manuskript
überhaupt noch existiert).

Wie auch immer: Ich hatte diese Story ursprünglich ganz locker heruntergeschrieben. Da ich wußte, daß vieles davon im Lektorat nicht durchgehen würde, fabrizierte ich eine zweite Fassung, von der ich meinte, daß sie druckreif sein müßte. Aber ich hatte nicht ahnen können, daß Günther M. Schelwokat sich z.B. sogar an dem harmlosen Wort "Socken" stoßen würde. Dies hier ist eine restaurierte Fassung.

 
 
   
Nichts als Zufall?
 
von Marianne Sydow


Ich weiß noch genau, wie alles anfing. Wir hatten eine Grillparty. Es war in unserer Straße üblich, daß sich so etwas ganz spontan ergab, sobald jemand unvorsichtig genug war, seinen Grill anzuheizen. Denn eigentlich reicht die Kohle ja doch immer für weitaus mehr als nur für die eigenen paar Würstchen, und es ist doch glatte Verschwendung, sie ungenutzt verglühen zu lassen.

Sobald es also von irgendwoher nach Grillanzünder roch, trafen binnen weniger Minuten ein paar Nachbarn ein. Sie brachten alles mit, was sie brauchten. Am Gastgeber blieben eigentlich nur die Kosten für die Holzkohle hängen - und die Unordnung, die es am nächsten Tag zu beseitigen galt.

An jenem Abend hatte es mich erwischt. Ich war einfach zu leichtsinnig gewesen. Und es war Freitag. Jetzt tummelten sich an die zwanzig Leute im Garten, und ich ärgerte mich ein bißchen, denn ich hatte mir eigentlich vorgenommen, ausnahmsweise mal früh ins Bett zu gehen.

Die Stimmung war schon ziemlich prächtig gediehen, als Terry sich endlich blicken ließ.

Terry wohnte gegenüber, bei Herrn Krobb, dem Schuldirektor des Dorfes. Herr Krobb hatte dreißig herrliche Forellen gestiftet, die er an diesem Tag geangelt hatte (verrmutlich in einem Zuchtteich). Eigentlich hätten die Fische in der Tiefkühltruhe landensollen, aber der gute Mann hatte offenbar seinen spendablen Tag, und darum lagen sie nun auf dem Grill und verströmten beim Brutzeln einen überaus appetitlichen Geruch.

Wahrscheinlich war es dieser verlockende Duft, dem Terry einfach nicht hatte widerstehen können. Er hielt sich sonst von solchen Grill-Partys gewissenhaft fern - nicht weil er ungern gefeiert hätte, sondern weil er dermaßen abgebrannt war, daß er meistens nicht mal sein eigenes Essen mitbringen konnte. Gleichzeitig war er aber zu stolz, um sich von uns einladen zu lassen. Terry machte in Lyrik und steuerte damit zielsicher dem Hungertod entgegen. Es gab zwischen uns oft hitzige Diskussionen, weil ich mit dem, was er als "Schund" bezeichnete, immerhin über die Runden kam - eine Tatsache, die er (als ernsthafter Literat) als ausgesprochen ungerecht empfand.

Terry verzehrte (nach einigem Zureden) mit großartigem Appetit zwei der Fische und ließ sich sogar dazu überreden, ein Glas Wein zu trinken. Aber er war schweigsam und in sich gekehrt. Wahrscheinlich hatte er eine depressive Phase - scheint bei Lyrikern so eine Art Berufskrankheit zu sein. Nach dem Essen hielt er sich abseits und starrte gedankenverloren in den Himmel hinauf.

Die Sterne strahlten an diesem Abend besonders hell. Als ich ebenfalls nach oben blickte, entdeckte ich einen Satelliten, der als leuchtender Punkt über den Himmel wanderte, ein gutes Stück unter der Gemma vorbei und dann durch den Bootes hindurch. Und als ich wieder zu Terry hinübersah, lag er regungslos auf dem Rasen.

Zuerst dachte ich, der arme Kerl sei so fix und fertig, daß schon ein einziges Glas Wein gereicht hatte, um ihn aus den Latschen zu hauen. Aber dann ging mir auf, daß Terry irgendwie komisch aussah - ich kann´s nicht anders beschreiben.

Von den anderen hatte noch keiner was bemerkt (sie achteten nie sehr viel auf Terry), und ich legte auch gar keinen Wert darauf, die ganze Bande in Aufruhr zu versetzen. Ich stand ganz unauffällig auf und ging zu ihm.

Er kam gerade wieder zu sich. Er schlug die Augen auf und sah mich an, auf eine ganz merkwürdige Weise - ehrlich, mir lief eine Gänsehaut den Rücken runter!

"Bist du krank?" fragte ich. "Fehlt dir was?"

Terry schüttelte den Kopf, stand mit irgendwie eckigen Bewegungen auf und ging davon. Ich hörte, wie drüben bei Krobbs die Haustür ins Schloß fiel.

Irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Terry mit mir gesprochen hätte. Reden hilft manchmal, wenn man Probleme hat, und er hatte offensichtlich eine ganze Menge davon.

Gegen Mitternacht löste die Party sich endlich auf. Als ich alleine war, setzte ich mich hin, rauchte in Ruhe eine letzte Zigarette, trank einen Schluck Wein und betrachtete die Sterne.

Der Satellit kam schon wieder in Sicht (ich hätte schwören können, daß es derselbe war), und wieder wanderte er unter der Gemma vorbei in den Bootes hinein. Das irritierte mich ein bißchen. Das Ding mußte mit einem Affenzahn um die Erde herumzischen, und das immer auf derselben Bahn! Aber vielleicht irrte ich mich, und die beiden wandernden Lichtpunkte hatten gar nichts miteinander zu tun.

Am nächsten Morgen machte ich mich schlechtgelaunt ans Aufräumen. Ich war gerade damit fertig, als Terry auftauchte. Er wirkte wieder halbwegs normal.

"Was macht die Kunst?" fragte ich ihn (normalerweise der Einstieg in einen mehr oder weniger erbaulichen Vortrag seinerseits), aber entgegen unseren sonstigen Gewohnheiten ging er nicht darauf ein. Statt dessen hockte er schweigend herum, bis mir schließlich der Kragen platzte.

"Was ist los?" fragte ich ärgerlich.

Er fuhr zusammen wie ein schreckhafter Affe. Dann druckste er eine Weile herum, und schließlich rückte er raus mit dem, was ihn bedrückte: "Du glaubst doch wirklich daran, daß es Leben auf fremden Sternen gibt, nicht wahr?"

"Auf den Sternen sicher nicht", erwiderte ich sarkastisch. "Aber auf den dazugehörigen Planeten."

"Du weißt genau, wie ich es meine. Also - glaubst du daran?"

Ich nickte - sehr vorsichtig, denn ich hatte keine Lust, mich von ihm auf etwas festnageln zu lassen. Diskussionen mit Terry arteten meistens in frustrierend witzlose Debatten aus.

"Und was ist mit den UFOs?"

"Schwer zu sagen", wich ich aus.

Terry wechselte plötzlich das Thema.

"Was meinst du", sagte er, "könnte ich auch sowas schreiben?"

"Bist du endlich vernünftig geworden?"

Er zuckte verlegen die Achseln.

"Es ist vorläufig nur so eine Idee", erklärte er. "Paß auf, ich stelle mir das so vor..."

"Schon gut", unterbrach ich ihn. "Schreib´s auf!"

Terry war ein bißchen beleidigt, aber ich blieb hart. Ich hatte genug mit meinen eigenen ungeschriebenen Geschichten zu tun - ich wollte mir nicht auch noch Terrys Ideen aufhalsen lassen. War die Story erstmal auf dem Papier, war ich gerne bereit, sie zu lesen. Das sagte ich Terry auch. Er nahm noch ein paar Anläufe, aber dann gab er es schließlich auf.

Ein paar Minuten später hörte ich seine Schreibmaschine klappern. Der Bursche legte ein wahrhaft haarsträubendes Tempo vor. Wenn er so weitermachte, konnte es nicht lange dauern, bis ich seine Geschichte zu Gesicht bekam. Und tatsächlich - wenige Tage später brachte er mir ein Manuskript.

Die Idee war nicht besonders originell: Ein Raumschiff umkreiste die Erde, und in diesem Raumschiff saßen Außerirdische, die die Erde beobachteten und eine Invasion vorbereiteten. Immerhin hatte Terry das Ganze recht geschickt verpackt. Er hatte sogar (was er sonst für ein besonders abscheuliches Merkmal trivialer Schundliteratur hielt) eine Parallelhandlung eingebaut. Bei der wurde es dann allerdings peinlich. Terry hatte es nämlich tatsächlich fertiggebracht, sich selbst darzustellen, samt den Ereignissen, die letztlich zu eben diesem Manuskript geführt hatten.

In der Geschichte bekam er in demselben Augenblick, in dem er den Satelliten sah, telepathischen Kontakt zu den Invasoren (er drückte sich an dieser Stelle etwas ungeschickt aus, weil er die SF-spezifischen Ausdrücke nicht kannte). Er durchschaute die Pläne der Fremden, woraufhin er natürlich darüber nachzudenken begann, wie er die Menschheit warnen könnte. Dabei kam er - völlig zu Recht - zu dem Schluß, daß niemand auf ihn hören würde. Und so beschloß er, alles in Romanform aufzuschreiben (womit er natürlich genauso wenig bewirken würde, aber das mußte ich ihm ja nicht unbedingt unter die Nase reiben - zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt). Er - beziehungsweise die Figur, die ihn in der Geschichte darstellte - schrieb den Roman und kriegte prompt Schwierigkeiten mit den Fremden, die zuerst das Manuskript und dann Terry selbst zu beseitigen versuchten. Das Ende war recht stark: Da kam Terry durch einen von den Fremden herabgesandten Blitz um. Niemand hatte ihm geglaubt. Die Frage, was die Außerirdischen mit der Erde anstellen würden, blieb offen.

"Gar nicht übel", sagte ich. "Ein paar Fachausdrücke sind schlecht gewählt - die SF hat da so ihre eigene Terminologie,
weißt du? Aber wenn du willst, bringe ich das für dich in Ordnung. Dauert nicht lange."

Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu, willigte aber - wenn auch zögernd - ein.

Am nächsten Tag schickte er das Manuskript weg. Einen Tag später brach im Hauptpostamt der Stadt, in der sich der Verlag befand, ein Feuer aus. Fast gleichzeitig schmorte bei Terry eine Leitung durch (zum Glück war Herr Krobb zu Hause - Terry war viel zu unbeholfen, um mit solchen Überraschungen fertig zu werden). Es passierte nicht viel, aber die Durchschläge zu dem Manuskript waren nur noch ein Häufchen Asche.

Mir kam das alles immerhin merkwürdig genug vor, um mich beim Verlag nach Terrys Geschichte zu erkundigen. Das Manuskript war unversehrt ans Ziel gelangt - ich atmete auf.

Am Abend zogen Regenwolken auf, und dann peitschte plötzlich genau über uns ein Blitz herunter. Nur einer! Und es waren wirklich keine Gewitterwolken! Der Himmel war eintönig grau und verhieß einen tagelangen Dauerregen, der mit Blitz und Donner nichts zu tun hatte.

Irgend etwas stimmte nicht. Ich gab einer dunklen Ahnung nach und lief hinaus in den Regen, und da lag Terry, mitten auf der Straße, und zwei Meter von ihm entfernt war der Beton kohlschwarz, wie verbrannt.

Ich schleifte Terry ins Haus (was eine elende Schufterei war. Im Film sieht das immer so leicht aus, aber glauben Sie mir: ein bewußtloser Mensch ist viel schwerer, als er seinem Gewicht nach sein dürfte) und rief den Arzt. Der war alles andere als begeistert, denn eigentlich mußte er zu einer Entbindung, und der bewußtlose Terry erweckte bei ihm weniger Sorge als Mißtrauen. Wahrscheinlich glaubte er, der arme Kerl hätte sich bis zum Umfallen bekifft. Er gab Terry eine Spritze und mir ein paar Anweisungen und machte sich wieder auf die Socken.

Es war ein bißchen unheimlich, neben Terry zu sitzen und darauf zu warten, daß er die Augen aufschlug. Der Schreck steckte mir noch in den Gliedern. Und als Terry endlich zu sich kam, hatte er schon wieder diesen merkwürdigen Blick.

"Ich muß weg von hier!" murmelte er - es klang, als wollte er sich selbst einen Befehl erteilen. Er schwang die Beine vom Sofa. Seine Bewegungen sahen aus wie die eines Roboters.

Ich dachte an den Arzt und riß mich zusammen.

"Moment", sagte ich und drückte ihn auf das Kissen zurück. "Du bleibst liegen. Befehl vom Doktor."

"Der Doktor kann mich mal am Arsch lecken!" schrie er - ich war verblüfft, daß er als Lyriker einen solchen Satz über die Lippen brachte. "Begreifst du denn immer noch nicht, was hier los ist? Die wollen mich umbringen!"

Zugegeben - einiges an den Ereignissen dieses Tages war ziemlich merkwürdig (und das war noch gelinde ausgedrückt), aber das ging mir denn doch ein bißchen zu weit. Offensichtlich bildete Terry sich ein, daß die Außerirdischen tatsächlich hinter ihm her waren. Leute, die ihre eigene Phantasie nicht vertragen, sollten besser die Finger davon lassen.

"Jetzt hör mir mal zu", begann ich.

Aber er ließ mich nicht zu Wort kommen.

"In der Nacht", sagte er, "als ich bei der Grillparty war, hat genau das stattgefunden,was ich aufgeschrieben habe. Ich sah einen Satelliten, und auf einmal war ich nicht mehr ich, sondern ein wildfremdes Wesen, und ich saß in diesem Raumschiff und beobachtete die Erde. Du hast die Geschichte doch gelesen - es ist alles wahr!"

Vielleicht hatte der Doktor recht - vielleicht hatte Terry sich wirklich bekifft, und zwar nicht nur heute. Möglicherweise war er schon high gewesen, als er auf der Party erschien. Immerhin hatte er so seltsam abwesend gewirkt.

Wie auch immer: Es hatte offensichtlich wenig Sinn, ihm das Ganze ausreden zu wollen. Aber vielleicht war ihm mit Logik beizukommen.

"Ich glaube dir ja", lenkte ich ein. "Meinetwegen umkreisen die Fremden wirklich die Erde - wäre ja durchaus möglich. Aber das heißt doch noch lange nicht, daß sie dich umbringen wollen oder können! Du hast dir alles andere doch nur ausgedacht, die Verfolgung und so weiter. Und davon können die Fremden schließlich nichts wissen - es sei denn, sie hätten dein Manuskript gelesen, und das glaube ich nun wirklich nicht!"

Aber bei Terry kam ich mit meiner Logik nicht an. Er preßte die Fäuste auf die Schläfen und stöhnte: "Du lügst. Du glaubst mir kein Wort. Ausgerechnet du! Ich habe es doch aufgeschrieben! Ich stehe in Kontakt zu ihnen - sie kennen jeden Schritt, den ich mache! Sie lesen meine Gedanken, sehen durch meine Augen, hören durch meine Ohren!"

Jetzt wurde mir die Sache doch ein bißchen unheimlich. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder war Terry nichts weiter als ein total zugekiffter Irrer, oder...

"Komm!" flüsterte ich. "Und denke an etwas anderes. Sage Gedichte auf oder sowas!"

Sein dankbarer Blick traf mich bis ins Herz.

Wir rannten nach draußen. Ich hörte Terry Reime murmeln.

"Getrennt haben wir bessere Chancen", stieß er hervor, als wir die Straße erreichten. "Wahrscheinlich können sie dich gar nicht wahrnehmen, wenn ich dich nicht sehe."

Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, Terry in diesem Zustand allein zu lassen. Aber ehe ich dagegen protestieren konnte, rannte er durch den Regen davon. Und dann zögerte ich zu lange. Als ich ihm folgte, war er bereits um die Ecke gelaufen. Von dort aus ging es direkt in den Wald. Weiter hinten gab es einen Weg ins Tal, und von da anwar das Gelände völlig unübersichtlich, ein Gewirr von kleinen Wäldchen, Ödland, Fischteichen, Feldern und einzelnen Gehöften. Ich konnte Terry nicht finden und kehrte schließlich niedergeschlagen um.

Ich wußte immer noch nicht, was ich von der ganzen Angelegenheit halten sollte. Vorhin, als Terry zu sich kam und ich immer noch diesen kohlschwarzen Fleck auf dem Beton vor meinem inneren Auge sah, hatte alles ganz vernünftig geklungen. Jetzt stand ich im Regen, war naß bis auf die Haut, und der Gedanke an die hypothetischen Fremden, die Terry mit Blitzen zu töten versuchten, kam mir denn doch reichlich phantastisch vor.

Ich ging den Weg zurück. Als ich an einen Pfad kam, der zwischen den Gärten und zwei tiefer gelegenen Weiden ins Dorf führte, bog ich ab. Es war eine ganz und gar spontane Entscheidung. Ich war so durchnäßt, daß es sowieso nicht mehr schlimmer werden konnte, und mir war eingefallen, daß ich nichts im Haus hatte, woraus sich ein steifer Grog brauen ließ. Den hatte ich nämlich dringend nötig.

Ich war kaum zehn Meter weit gekommen, da gab es hinter mir einen scharfen Knall. Gleißende Helligkeit hüllte mich ein. Meine Haare richteten sich knisternd auf, obwohl sie klatschnaß waren.

Ich war wie gelähmt. Ich könnte beim besten Willen nicht sagen, wie es mir trotzdem gelang, mich umzudrehen. Wie hypnotisiert beobachtete ich, wie mindestens ein Dutzend Blitze die Straße entlangknallten und schließlich mein Haus erreichten.

Es war ein sehr kleines Haus, denn zu mehr hatten meine Ersparnisse nicht gereicht. Aber es besaß eine Blitzschutzanlage. Später stellte ich fest, daß sämtliche Sicherungen durchgebrannt waren. Eine Fensterscheibe wies einen langen, diagonalen Riß auf, und einige Gläser waren zerbrochen. Im Augenblick allerdings verspürte ich nicht die geringste Lust, nachzusehen, wie groß der Schaden war. Mit Mühe schüttelte ich die Lähmung ab und rannte den steinigen Weg hinunter.

Vielleicht war es wirklich nur ein Zufall. Vielleicht bildete ich mir das Ganze nur ein. Aber es blieb eine unheimliche Ahnung zurück. Wenn Terry recht hatte, dann waren die Blitze ein Werk der Fremden. Sie hatten gewußt, welchen Weg ich nehmen mußte, und sie hatten diesen Weg mit Blitzen zugepflastert. Sie hatten nicht wissen können, daß ich einen Umweg machen würde. Zwischen mir und den Fremden gab es keine telepathische Verbindung - sobald Terry mich nicht mehr sah, konnten sie mich nicht mehr wahrnehmen. Wahrscheinlich waren sie auch nicht in der Lage, mich - einen so winzigen Punkt auf der riesigen Erde - optisch zu überwachen, noch dazu durch diese dichte Wolkendecke hindurch.

Aber was wurde aus Terry?

Ich konnte ihm nicht helfen. Ich wußte ja nicht einmal, wo er steckte.

Diese Erkenntnis war einigermaßen niederschmetternd.

Er kam an diesem Abend nicht nach Hause. Ich sprach mit Herrn Krobb, erwähnte allerdings nichts von Terrys Außerirdischen - der gute Mann hätte uns sonst alle beide glatt für verrückt erklärt.

Die ganze Nacht hindurch blieb ich wach. Terrys Fenster waren dunkel. Es regnete ununterbrochen. Nichts rührte sich draußen, nicht einmal eine Katze strich an den Zäunen entlang.

Als der Morgen graute, hörte ich das Rumpeln eines einzelnen Donnerschlags. Ich zitterte am ganzen Leibe. Vom Dorf her kam Minuten später das Heulen der Feuersirene. Ich rannte ins Wohnzimmer und sah die zuckenden blauen Lichter auf der Straße tief unter mir. Im Tal war ein Lichtfleck ganz anderer Art aufgetaucht. Er zuckte und flackerte in gelben, weißen und roten Tönen und wurde manchmal von Regen und Rauchschwaden fast verschluckt.

Die offizielle Version lautete später, daß Terry in der Dunkelheit und dem Regen den Heimweg nicht gefunden und sich deshalb kurzerhand in einer einzeln stehenden Scheune verkrochen hatte. Obwohl die Bauern in der Umgebung den Blitz gesehen und den Donner gehört hatten, schloß man aus dem Vorhandensein eines Feuerzeugs, daß Terry im Heu geraucht hatte. Logische Schlußfolgerung: Das Heu hatte Feuer gefangen, Terry war in der Scheune verbrannt.

Nun war Terry zwar manchmal etwas weltfremd, aber er war kein Idiot. Und außerdem war er Nichtraucher. Es war nicht das Feuerzeug, das die Scheune in Brand gesetzt hatte - es war der Blitz.

Ein halbes Jahr später kam ein Brief für Terry. Der Absender war ein Verlag. Darum gab Herr Krobb mir das Schreiben. Man bedauerte sehr, daß - offenbar infolge eines Versehens - Terrys Manuskript spurlos verschwunden war. Ob er wohl noch einen Durchschlag hätte? Ich schrieb eine kurze Antwort, in der ich erklärte, warum Terry auf das Angebot nicht eingehen konnte und daß auch der Durchschlag nicht mehr existierte.

In einer astronomischen Zeitschrift fand ich die Meldung, daß damals, im Mai, für einige Stunden ein "UFO" die Erde umkreist hatte. Ein Satellit war es nicht - jedenfalls keiner, der irgendwo verzeichnet war. Das Ding verschwand ganz plötzlich. Möglicherweise - so vermutete man - war es irgendein geheimes Versuchsobjekt, das sich nicht in der Umlaufbahn hatte halten können.

Ich glaube nicht an diese Theorie. Terry hatte nämlich eine technische Störung an Bord des fremden Raumschiffs beschrieben, die es gerade für diese Zeitspanne seines Ortungsschutzes beraubt hatte. Er hatte allerdings auch erwähnt, daß die Fremden sich noch nicht darüber schlüssig waren, was sie mit unserer guten alten Erde anfangen sollten.
Für ihre Begriffe ist unsere Heimatwelt ein ausgesprochen popeliger Planet, dessen Rohstoffe so kümmerlich sind, daß sich die Ausbeutung kaum lohnt, und auch wir Menschen sind im Vergleich zu ihnen derart schwächliche Geschöpfe, daß sie wenig Verwendung für uns haben dürften.

Vielleicht umkreisen sie unseren Planeten immer noch, sorgfältig getarnt, unsichtbar selbst für die raffiniertesten Ortungsgeräte. Hoffentlich kommen sie irgendwann zu dem Schluß, daß unsere arme alte Erde den Aufwand nicht lohnt. Aber vorsichtshalber habe ich mir einen neuen Blitzableiter angeschafft.

Man kann ja nie wissen...

(©) 1973/2005 Marianne Sydow

 
 
 
 
HOME  
Marianne Sydow Startseite